Terror im Kinderzimmer
Viele Kleinkinder werden - mit dem vermeintlichen Ziel der Entwicklungsförderung – schon sehr früh und teils unbeaufsichtigt vor den Fernseher gesetzt. Die oft versprochenen, kindgerechten und scheinbar pädagogisch wertvollen Lerneffekte wirken sich jedoch eher nachteilig auf die Sprachentwicklung der Kinder aus. Kids, die überdurchschnittlich viel vor dem Bildschirm sitzen, sind leider sehr oft sprachlich gehemmter, als Kinder, die durch eine rege Interaktion mit den Eltern oder anderen Kinder lernen. Später in der Schule zeigen sich bei diesen jungen Menschen vermehrt Sprechhemmungen, große Unsicherheiten, ein zu geringer Wortschatz, eine falsche Grammatik und sehr oft auch Konzentrationsstörungen.
Viel zu oft werden Unter-Dreijährige oder bereits Kids in der Babywippe vor den Fernseher gesetzt. Die geballte Ladung an bunten Bildern und Sprachgewirr prasselt ungefiltert auf sie ein. Dem können sich die kleinen Menschen nicht entziehen. Das Gehirn eines Babys/Kleinkindes benötigt jedoch eine sofortige Rückkoppelung - aber wer antwortet oder reagiert in einer solchen Situation direkt, sensibel und mit Fingerspitzengefühl? Laute Töne können erschrecken, Bilder nicht verstanden oder richtig kombiniert werden - denn das braucht wiederum Erfahrung. Auch Zeichentrickfilme zeigen oftmals Gewalt und wirken sich unweigerlich auf das Verhalten und auf die regenerierende Nachtruhe des Kindes aus.
Eine Studie kanadischer Forscher in Montreal zeigt, dass der Einfluss des Fernsehkonsums bei Kindern von zwei Jahren einen erschreckenden Einfluss auf die zukünftigen akademischen Leistungen und das Wohlbefinden der Kinder hat. Das Ergebnis war eine Verschlechterung des späteren Engagements in der Schule und eine reduziertere Mitarbeit. Sie sind häufiger Mobbingopfer und haben einen gestörten interaktiven Lebensstil.
Immer mehr Kinder zeigen Einschränkungen des altersgemäßen Wortschatzes, Störungen beim Sprechen und Verstehen von Sätzen, auffallend viele grammatikalische Fehler und Probleme dabei, die Bedeutung von Wörtern richtig zu erfassen! Die Ausdrucksweise ist fatal und ungenau. Die Kommunikation des Kindes wird vor dem Fernseher nicht gefördert. Jeder Versuch einen Dialog mit den Teletubbies, Bob dem Baumeister oder SpongeBob Schwammkopf aufzunehmen, bleibt unbeantwortet. Jede Emotion wird ignoriert! Das Kind wird zur Passivität, zur nonverbalen Beschäftigung gezwungen - der Austausch- und Interaktionspartner fehlt. Wer glaubt, dass das speziell für Kinder gemachte Fernsehen auf irgendeine Weise bilden würde, der hat es wahrscheinlich nicht auf sich genommen, auch nur fünf Minuten den Teletubbies, den Pokémons und ähnlichen Geschöpfen zuzusehen. Die einzige Bestimmung der Pokémons ist es zum Beispiel, in brutalen Kämpfen eine "höhere Entwicklungsstufe" zu erreichen.
Kleine Kinder werden in der Reihe Dragon Balls zu Trainingszwecken verprügelt, damit sie lernen, "ihren Geist völlig leer werden zu lassen". Die sprachliche Armut des Kinderfernsehens ist bemerkenswert und nicht auf das Gelalle der Teletubbies beschränkt. Auch die Pokémons sprechen kaum. Wenn sie etwas sagen, dann ihren Namen, in unterschiedlichen Tonlagen. Also: Pikachu. Pikachu? Bisasam! Bisasam ... Owei. Owei. Owei. Und im Zustand größerer Erregung: Pikapikapika! Bisabisabisa!! All diese Geräusche hörst du wieder, wenn du dich länger als drei Minuten in einem Kindergarten aufhältst.
Gerade in diesem Alter ist es für die Entwicklung des Kindes von immenser Wichtigkeit, viele Möglichkeiten zur verbalen Kommunikation zu erhalten. Es muss üben, Freude am Sprechen entwickeln, spielen, sich ausprobieren, verstehen lernen und benötigt Erklärungen. Das Kind will be-„greifen“ lernen, und das funktioniert nur durch das bewusste und reale Erleben der Welt im Austausch mit anderen Menschen. Wie soll ein Kind erlernen, dass eine Kuh nicht lila ist, wenn es dieses Tier nur aus der Werbung kennt? Wie soll es begreifen, dass es am Ende nicht immer ein Happy End im Leben gibt oder eine gute Fee drei Wünsche verteilt? Das Verständnis dafür, dass bestimmte Bilder keinen echten Gegenstand im realen Leben bedeuten und die Darsteller nur dem Drehbuch folgeleisten, ist noch nicht vorhanden. Das Kind kann noch nicht von dem ihm dargebotenem audiovisuellen Material auf die reale Umwelt schließen, die Zusammenhänge erfassen oder die verschiedenen Fakten und vermittelten Inhalte umsetzen.
Wann hast du zuletzt auf dem Fußboden im Kinderzimmer gesessen und aus Holzklötzen Prinzessinnenschlösser oder Ritterburgen gebaut? Wann hast du zuletzt Drachen bekämpft oder Einhörner gestreichelt? Lernen über das Spiel, eine funktionierende soziale Interaktion innerhalb der Familie und ganz viel Fantasie sind in diesem Alter wichtig! Zum Beispiel werden dem Kind durch das gemeinsame Singen der Sprachrhythmus und die Sprechmelodie der Muttersprache, und – eine der wichtigsten Voraussetzungen der Sprachentwicklung – der Spaß an der Sprache vermittelt.
Kennst du noch Finger- und Sprachspiele oder Kniereiten aus deiner Kindheit? Sie sind bei Kindern auch in der heutigen Zeit sehr beliebt und stärken gleichzeitig die emotionale Bindung zwischen Eltern und Kind. Kinder lernen Sprache unter anderem durch Imitation und brauchen verbale Anreize. Fehlen diese, zum Beispiel in einer kommunikationsarmen Familie mit gehäuftem Fernsehkonsum, bleiben sie sprachlich auf der Strecke. Im Spiel mit anderen entdecken sie die Welt und erhalten die Gelegenheit, sich auch sprachlich auszuprobieren, zu vergleichen, zu experimentieren – sie lernen beim Spielen für das Leben! Hier lernen sie, ihre Gefühle zu artikulieren, Regeln einzuhalten, in andere Rollen zu schlüpfen und können ihre Umwelt aktiv mitgestalten.
Sie eignen sich lebendiges Wissen an, das nicht auswendig gelernt werden kann. Die beste Basis für eine gute und lernfreudige Zukunft.